Montag, 21. Februar 2011

Metamorphosen

Kaum verschwindet nach dem Take-Off das Anschnallzeichen, regt es sich im Flieger. Natürlich müssen die ersten aufs WC oder ihre Laptops und iPods aus dem Gepäck kramen. Eher ungewöhnlich sind die Verwandlungen, die manch männlicher Mitreisender durchmacht. Es ist gegen Sonnenaufgang, Zeit für das Schacharit, das jüdische Morgengebet. Gebetsschals (Tallits) und -riemen (Tefillin) werden aus teils kunstvoll gearbeiteten Taschen geholt und angelegt. Still oder halblaut, sitzend oder im schmalen Flugzeuggang stehend wird gebetet. Zum Glück geht der Flug nach Israel, weshalb sich vermutlich niemand was dabei denkt. Erst im Dezember hatte ein betender orthodoxe Jude auf einer Fähre in Neuseeland einen Grossalarm ausgelöst: Der Kapitän des Schiffs interpretierte die Gebetskapseln auf Stirn und Arm des Mannes als Sprengsätze und die Befestigungsriemen als Zündvorrichtung… 
 
Tallit und Tefillin (Bild: AngerBoy/Flickr)
Weitere Metamorphosen sind mit näherrückender Landung in Tel Aviv zu beobachten – die Zahl der Kippot auf den männlichen Häuptern nimmt deutlich zu. Und spätestens die Warteschlangen vor der Passkontrolle geben einen kleinen Vorgeschmack auf das, was einen in Jerusalem geballt erwartet. Ganz links wartet eine an Kleidung und Kopfbedeckungen klar als Muslime auszumachende Gruppe von Uiguren noch immer unverändert, als ich nach knapp zwanzig Minuten zwei Reihen weiter rechts an der Reihe bin. Rechts neben der Ausländerreihen sechs Reihen "Israeli Passport", nicht wenige orthodoxe Juden. Hier geht alles ein bisschen schneller. Daneben, in ordentlichen Zweierreihen aufgereiht, eine riesige Gruppe von polnischen Katholiken, durch blaue, rote und grüne Halstücher in praktische Untergruppen aufgeteilt… Ob das Jerusalem-Syndrom schon am Flughafen seine Wirkung entfaltet?

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