Samstag, 23. April 2011

Ausnahmezustand

In Jerusalem ticken die Uhren anders, deshalb feiern die verschiedenen Christen in der Grabeskirche auch schon am Karsamstag ihre Osternacht. So die Katholiken, die schon um halb sieben in der Frühe dran sind. Um überhaupt irgendwie in das grossräumig abgeriegelte Gebiet um die Grabeskirche zu kommen, versammeln sich ein paar hundert Gläubige beim Franziskanerkonvent, um von dort aus gemeinsam einzuziehen. Die Altstadtgassen sind um diese Zeit schon von hunderten von Polizisten abgesperrt, die die Gruppe zunächst auch unter keinen Umständen durchlassen will. Zweimal schicken die Polizisten den Prozessionszug mit deutlichen Worten zurück. Die Stimmung ist ziemlich angespannt, zumal keiner der Polizistens willens oder in der Lage ist, mit der (vor allem arabischsprachigen) Gruppe Englisch zu sprechen. Eine (jüdisch-amerikanische) Journalistin liefert sich ein heftiges Wortgefecht mit einem der Polizisten: "Speak English - we are not a jewish crowd!" Erst, als einer der (arabischen) Kameramänner auf Hebräisch zu vermitteln versucht, beruhigt sich die Lage etwas. Im dritten Anlauf und in Begelitung eines Franziskaners werden wir durchgelassen. Der Weg zur Grabeskirche - sonst eine der Hauptachsen der Altstadt ist von der Polizei abgesehen menschenleer, und auch der gestern noch überfüllte Platz vor der Kirche gleicht diesmal eher dem Hautquartier der Polizei.

Die Stimmung in der Grabeskirche ist nicht weniger gereizt, bis schliesslich jede(r) sich einen Platz gesichert hat. Rechts ist reserviert für die Priester, schnauzt ein Mitarbeiter ein paar Schwestern an, setzt Euch nach links. Kaum haben sie sich in die erste Reihe gesetzt, kommt ein anderer Mitarbeiter: Reserviert für die Messdiener, setzt Euch weiter nach hinten. Schlussendlich gibt es einfach zu viele Konzelebranten, und das gemeine Volk muss sich auch von der zweiten und dritten Reihe erheben und Platz machen für die Männer in weiss. Da sag noch einer, es gebe zu wenige Priester! Die beiden Franziskaner in der Reihe vor mir nutzen die verbleibende Zeit bis zum Einzug des Patriarchen, um rasch noch einmal den Vortrag der vierten Lesung zu üben. 

Bewegen ist in dieser Masse fast nicht möglich, und so bekommen nur die wenigsten die Segnung des Feuers mit. Die Kirche ist bereits zu Beginn der Feier hell erleuchtet, so dass es auch nichts macht, dass auch die Kerzen nur für den Klerus reichen, denn die Lichtsymbolik kommt sowieso nicht so recht rüber. Mit dem Beginn des Wortgottesdienstes entspannt sich die Stimmung und es wird sogar feierlich. "Wenn das römische Osterfest nicht mit dem orthodoxen Osterfest zusammenfällt, werden sieben Lesungen genommen. Andernfalls werden einige davon weggelassen, je nach Notwendigkeit", erklärt das stattliche, 165-Seiten lange Liturgiebüchlein dem unwissenden Beter. Zwar fallen in diesem Jahr beide Feste überein, aber eine "Notwendigkeit" scheint nicht eingetreten zu sein. Alle sieben Lesungen inklusive Antwortpsalm werden feierlich kantilliert. Dafür gibt es halt keine Predigt.
Nach gut drei Stunden Gottesdienst erfährt der Beter auf Seite 165 schliesslich noch, dass, wer an dieser Feier teilgenommen habe, nicht verpflichtet sei, die Laudes zu beten. Aber das galt ja auch schon für die Teilnehmer der gestrigen Grablegungsfeier...

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