Mittwoch, 30. November 2011

Knesset-Knigge

Eine Einführung ins korrekte Essen mit Messer und Gabel, eine Lektion zur (Nicht-)Verwendung von Schimpfworten in der Öffentlichkeit, Grundregeln für den Umgang mit Mobiltelefonen in Gesprächen oder Sitzungen: Nach offenbar peinlichen Zwischenfällen schickt Israel sein Parlament in die Benimm-Schule. Kommentar von Knigge-Trainerin Tami Lancut Leibovitz: In anderen Ländern lernt man so etwas in der Schule. Erste Unterrichtseinheit ist übrigens am 6. Dezember … "wenn du nicht brav bist, kommt der Knecht Ruprecht statt dem Nikolaus". Oder so ähnlich.

Law and Order

"A normal country does not shoot itself in the foot (…) Freezing the funds for the Palestinian Authority is, over time, this kind of shooting – if not in the head, then at least in the foot."
Aus einem Kommentar der Tageszeitung "Yediot Ahronot" (30. November) zur Blockade palästinensischer Steuergelder durch Israel. Der Autor ist der Meinung, dass Israel ein Interesse an der Palästinensischen Autonomiebehörde haben sollte, um "law and order" jenseits des Sicherheitswalls aufrechtzuerhalten.

Dienstag, 29. November 2011

Mischung unerwünscht

Du sollst kein aus zweierlei Fäden gewebtes Kleid anlegen. Heisst es in der Bibel, genauer Levitikus 19:19. Aus diesem Grund erwägt das Jerusalemer Rabbinat nun ein Koscher-Zertifikat für Kleidung. Ausgezeichnet werden sollen jene Geschäfte, die nachgewiesener Massen keine Woll-Leinen-Mischungen verkaufen, etwa Kleidungsstücke aus Wolle, die mit Leinengarn zusammengenäht sind. Schliesslich käme es einer wahrhaft frommen Person auch nicht in den Sinn, ein Restaurant zu betreten, das über kein Koscher-Zertifikat verfügt. Man sollte das ganze nicht auf die leichte Schulter nehmen, denn, wie der zuständige Rabbiner betonte, sagen schon die Weisen, dass das Gebet desjenigen nicht erhört werde, der ein Kleid aus "zweierlei Fäden" trage…

Freitag, 25. November 2011

Anpassung

"Wir waren immer stolz auf uns als einzige Demokratie im Nahen Osten. Jetzt wollen die arabischen Staaten demokratisch werden und wir bewegen uns hin zur Diktatur."
Zipi Livni, Chefin der Oppositionspartei Kadima, am Mittwoch in der Knesset zu einigen umstrittenen neuen Gesetzesentwürfen, darunter ein neues Verleumdungsgesetz

Donnerstag, 24. November 2011

Ansichtssache

"Ivrit?" Ich schüttle den Kopf, "deutsch". Erstaunen bei meinem Gegenüber. "Aber Jüdin?!" Die Art, wie der junge Polizist die Frage formuliert, hat fast etwas Rhetorisches. Erneutes Kopfschütteln meinerseits, gefolgt von einem ungläubigen Kopfschütteln seinerseits. "But you look so religious!" Schulterzucken meinerseits. (Unabhängig davon, ob das auf mich zutrifft: Können nur Jüdinnen religiös sein?) "You look really nice, so beautiful, Germans always look beautiful. But you look so religious!"

Samstag, 19. November 2011

Crossover total

Der schmale neugotische Kirchbau im Herzen von Bostons Luxuseinkaufsmeile ist gut gefüllt. Die Orgel tönt, ein paar Heilige grüssen aus der Apsis. In den Ablagen der Stuhlrücken stecken rot eingebundene Gebetbücher und die blauen Hymnenbücher der Episcopal Church, Ausgabe 1982. Klingt nach einem ganz normalen Sonntag, nur ist Freitagabend, und gerade entzündet ein Paar in den Sechzigern die Kerzen der großen Menorah vor dem Torahschrein mitten zwischen Altar und Chorgestühl. Baruch atah adonei. Nach der ersten Zeile auf stark amerikanisch eingefärbtem Hebräisch wechselt das Schabbatgebet der jüdischen Reform-Gemeinde ins Englische. 
Der Gottesdienst ist leicht wortlastig, aber die Atmosphäre ist herzlich und einladend. Gitarrenbegleitete Gesänge in bewährt amerikanisch-englisch-hebräischer Mischung wechseln mit gesprochenen Gebeten, NGL à la juive, sozusagen. Thanksgiving, "das von allen Amerikanern ohne Unterschied von Religion oder Ethnie geliebte Fest" stehe vor der Tür, sagt der Rabbiner und lädt seine Gemeinde dazu ein, Dank zu sagen für wichtige und schöne Momente der jüngsten Zeit. Eine Frau in der Reihe vor uns dankt für die Ausweitung der Homosexuellenrechte in Massachusetts, ihre Freundin krault ihr unterdessen den Rücken. Ein Meilenstein, findet auch der Rabbiner, und die Gemeinde stimmt zu. Für den Dialog mit einer der muslimischen Gemeinden der Stadt ("they are very open, we would call them 'reform Islamic congregation'") werden Freiwillige gesucht, ebenso für den nachmittäglichen Vorlesedienst an einer Schule. Herzliche Einladung auch zum Chanukka-Konzert, "the Jewish version of Haendels Messiah and our Jewish contribution to the December holiday season". Schlussegen und noch eine Einladung, diesmal zum anschliessenden Apero. Die Rabbinerin ein paar Sitze vor uns gibt ihrer Freundin einen Kuss. Shabbat shalom!

Freitag, 11. November 2011

Nachwirkungen

John ist aus Alaska, "Christ, aber kein Katholik". Nach Washington ist er zum Marathonlauf gekommen, und beim Frühstück im Hostel kreuzen sich unsre Wege.  John kennt sich erstaunlich gut aus in Sachen Religion, hat zu allem eine Meinung, mit deren Äusserung er die verbliebene Stunde bis zu unsrer Abreise füllt - die Hebräischhausaufgaben ziehen erneut den Kürzeren. John liegt nicht unbedingt mit allen seinen Ansichten auf meiner Wellenlänge, aber er passt auch nicht in die üblichen Schubladen. Mit dem Papst geht er dahingehend überein, dass Frauen kein Mandat für Weiheämter haben. Die sephardische Synagoge auf der Upper Eastside NY verkörpert für ihn eindeutig muslimisch inspirierte Architektur. Es folgt ein historischer Exkurs über die Juden und Muslime in Nordafrika und Südspanien. Sprung zurück in der Zeit, Rom in den 70er Jahren n. Chr., der Titusbogen. Die Geschichte ist so aktuell, sagt John. Die paganen Römer haben den jüdischen Tempel zerstört. Seither ist der Tempelberg eine der heiligsten muslimischen Stätten - und der Nahostkonflikt geboren. Und - endlich kommt John an des Pudels Kern - seither gibt es kein jüdisches Opfer mehr. Wobei wir wieder bei den Christen wären, schließlich braucht es seit Jesus kein weiteres Opfer mehr. Das alles, schließt John, kann doch kein Zufall sein...

Freitag, 4. November 2011

No Go(i)

Besuch an der Klagemauer. Weil ein Feiertag ist, fällt die Kleidung noch ein bisschen angepasster aus: Kleid, Strumphose und Kopfbedeckung, und auch mein Begleiter trägt entgegen jeder Gewohnheit eine Kipa. Wie üblich wuselt es auf dem Platz, Soldatengruppen mischen sich mit Besuchern, Betern, Touristen. Ob wir Israeli seien, fragt uns unvermittelt eine ältere Frau, unter dem Arm allerlei Informationsmaterial. Juden? Selbstverständlich, antwortet mein (jüdischer) Begleiter ohne zu zögern und gleich für mich mit. Ganz überzeugt ist die Frau noch nicht, also folgen eine handvoll Fragen, die rasch den Wissensstand abchecken. Mein Begleiter schlägt sich ganz offenbar passabel, denn unvermittelt kommt die Frau noch ein wenig näher an uns heran und flüstert: "Es gibt viel zuviele Nichtjuden an diesem Ort, vor allem Deutsche." Ein verschwörerischer Blick, und sie lässt uns ziehen. Später am Abend treffen wir sie erneut; diesmal hat sie eine Gruppe Ordensschwestern im Habit in der Mangel...

Donnerstag, 3. November 2011

Routine of dispossession

"Now that Palestine has been recognized by the United Nations' cultural organization, Unesco, it will be no more of a non-state and no less occupied than it was before. Its citizens will be no less unfree than they are today, no less under the yoke of Israeli foreign rule. But their civil disobedience versus Israel, the United States and the Quartet raises the hope that the Palestinians will not return to the negotiating table - because negotiations have become an obstacle to the decolonization process, the essential condition for peace (...)
There is no substitute for the strategy of popular resistance, in which there are no distinguished VIPs watching from the sidelines (and also no more Qassam rockets or other methods that target civilians, which have proven their practical and moral worthlessness ). But not returning to negotiations is an essential step in order to disrupt the routine of dispossession, to which the Quartet is a partner."
Journalistin Amir Hass in einem Haaretz-Beitrag (2. November)

Dienstag, 1. November 2011

"Rav-Qaw" - erster Versuch

Jerusalem hat seit neuestem eine Strassenbahn. Und auch wenn man zumindest im Innenstadtbereich immer noch zu Fuss schneller ist und auch wenn das zugehörige Zahlsystem noch immer nicht in Betrieb ist - ersteres zum Ärger, letzteres zur Freude der Fahrgäste - sollen auch beim Ticketsystem neue Wege gegangen werden. Die bisher üblichen 10-Einheiten-Streifenkarten für den Bus zum Abknipsen (und alle ähnlichen Abonnements in Papierform) sollen durch schicke neue (und wiederaufladbare) Plastikkarten mit Besitzerfoto ersetzt werden. Nennt sich "Rav-Qaw" (רב-קו) und soll für alle Verkehrsmittel brauchbar sein (so denn dann irgendwann das System läuft). 
Um das Gewohnheitstier Mensch zum schnellen Umstieg auf die fortschrittliche Rav-Qaw zu bewegen, haben sich die Beteiligten einen cleveren Schachzug überlegt: "Rav-Qaw" ist kostenlos - sofern man sie in der Einführungsphase ausstellen lässt. Und da beginnt für manch eine(n) das Problem. Schon nur das Antragsformular ist - genau: aussliesslich auf Hebräisch. Im zentralen Busbahnhof weiss schliesslich keiner so recht, welche der vielen Warteschlangen (angesichts der unförmig hin und her drängelnden Menschenmassen ein sehr euphemistisches Wort) nun der Rav-Qaw-Haufen ist. Überall werden grosszügig Wartenummern verteilt, aber nirgendwo gibt es eine Anzeigetafel. Irgendwann habe ich die richtige Menschenansammlung gefunden und mich bis zum Wartenummernverteiler vorgearbeitet - Nummer 440. Etliche Minuten später und knapp einen halben Meter weiter bringt die Frau neben mir in dem Haufen in Erfahrung, welche Nummer gegenwärtig behandelt wird: 90 - bei zwei Kartenausstellern, die nebenbei auch noch jeden Kandidaten vor Ort fotografieren müssen. Derzeit kostenlos oder nicht, meine Geduld reicht an diesem Nachmittag nicht dafür aus und "Rav-Qaw" muss noch ein bisschen warten....