Sonntag, 6. Januar 2013

Jesuskind küssen



Es ist zwar etwas weniger schönes Wetter als zu Weihnachten Eins (rk) - am Nachmittag beginnt es gar zu regnen -, aber auch zum zweiten Geburtsfest (oder dem ersten in diesem Kalenderjahr, je nach Belieben) ist die Stimmung in Bethlehem bestens. Pfadfinder dudeln und trommeln vor sich hin, dann und wann werden die Strassen für wichtige Gäste gesperrt, und wieder einmal ziehen kirchliche Würdenträger (orthodoxe diverser Couleurs diesmal) feierlich in die Grabeskirche ein. Die palästinensische Polizei überbietet sich an Freundlichkeit und verteilt an die versammelten Journalisten und Fotografen eigens für diesen Anlass gedruckte Weihnachtskarten. Und während sich in den traditionsreichen Gemäuern rechts alles um die Geburt dreht, ist man in der benachtbarten Katherinenkirche links schon ein paar Wochen weiter im (liturgischen) Kalender und bei Epiphanie angekommen.



Und da auch rund um die Geburtskirche jedwede Handlung eisern dem Status Quo zur Befriedung der diversen Beteiligten folgt, ist die Choreographie der zeitgleichen Feiern der verschiedenen Konfessionen mit fast deutsch anmutender Präzision geregelt: Erst wenn die griechisch-orthodoxe Liturgie des Heiligen Abends endet, dürfen die Lateiner in die Grotte – laut Zeitplan ist das von 16 Uhr bis 16.25 Uhr. Runter dürfen sie in Geleit zweier Griechen und eines Armeniers, während ein weiterer armenischer Vertreter nebst Ehrengarde den nördlichen Ausgang besetzt. Ähnliches Spiel gilt für die Kopten, die ebenfalls Weihnachten Zwei feiern. Der Kopte hat auf dem Teppich zu stehen, den die Griechen ihm vor den Altar bereitet haben, während es den Syrern in diesem Zeitraum untersagt ist, sich im Grottentreppenhaus aufzuhalten. Und sind die Griechen fertig mit der Beräucherung der Grotte, gefolgt von den Syrern und den Kopten, dürfen die Armenier am Hauptaltar loslegen. Und so weiter. Business as usual. Damit sich die Status-Quo-Wächter nicht irren ist alles in mehrseitigen Din-A-4-Heften niedergeschrieben.
Ebenfalls alljährlich sind die kleineren oder grösseren Verspätungen, die das komplexe Gefüge zumindest im Blick auf den zeitlichen Ablauf empfindlich zu stören drohen. Aber schliesslich ist hier im Orient dann doch nichts so deutsch, wie es auf den ersten Blick ausschaut. "Wir müssen noch etwa fünfzehn oder zwanzig Minuten warten, bis die Gebete von XY beendet sind", heisst es das ein oder andere Mal in der Katherinenkirche. "In dieser Zeit wird uns der Chor ein paar Weihnachtslieder singen." Und zum gefühlt zwanzigsten Mal seit dem 24. Dezember singen wir die sieben Strophen von "Puer natus". Business as usual. Nur der Türwächter schaut beunruhigt auf seine Uhr. Um halb sechs muss er die Kirche schliessen. Status Quo oder nicht.
Irgendwann ist es schliesslich doch soweit. Die Grotte ist frei für die lateinische Prozession (der Chor singt unterdessen, wie könnte es anders sein, Strophe eins bis sieben, gloo-o-o-o-o-oo-o-o-o-o-oo-o-o-o-o-oo-riaa in excelsis deo). Das liebe Jesuskindlein, ein fast lebensgrosses Holzbaby auf güldenem Thron und in bestickte Mäntelchen gehüllt, wird durch die verzweigten Kirchbauten zu seiner Geburtsstätte in die Grotte getragen. Und wieder zurück. Business as usual. Nach feierlichem Abschluss der katholischen Vespern (und bevor in Erwartung der wichtigen Ehrengäste der orthodoxen Weihnacht der Kirchplatz von den Sicherheitskräften erneut gesperrt wird, wird das Kindlein zur allgemeinen Verehrung ausgesetzt. In nicht endenwollendem Strom strömen die versammelten Gläubigen vor den Altar, um, mehr oder weniger inbrünstig, die barock anmutende kleine Gestalt mit Küssen und Hätscheleien zu versehen. Ein Anblick, der mir auch nach vier Jahren irgendwie fremd bleibt.

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