Donnerstag, 24. November 2016

Auf den Ton kommt es an

Der akkustische Tag beginnt mit dem Morgengrauen. Allahu akbar, Gott ist grösser als alles, tönt es aus den Moscheen. Es folgen die Kirchenglocken. Sechs Schläge, einer für jede volle Stunde seit Mitternacht. Alle fünfzehn Minuten wird die Glocke von nun an läuten, bis am Abend um zehn, dazwischen singt vier weitere Male über den Tag verteilt der Muezzin. Freitags kommt ein weiterer Ton zum interreligiösen Konzert hinzu: Ein langanhaltender Sirenenklang, moderner Ersatz für das traditionelle Schofar, ruft kurz vor Sonnenuntergang zur Eile angesichts des nahenden Schabbat.
In die vertraute Kakophonie der Jerusalemer Geräuschkulisse mischen sich Misstöne. Der islamische Gebetsruf ist einigen Parlamentariern ein Dorn im Ohr. Er schade der Lebensqualität der Anwohner. Der Gebrauch von Lautsprechern zur religiösen Beschallung soll fortan verboten werden, fordern sie in einem Gesetzentwurf. Das Schabbathorn möge die offizielle Ausnahme bleiben, so ein nicht unwichtiger Zusatz, der ihnen strengjüdische Unterstützung sichern soll. Die akkustische Reviermarkierung verdeutlicht ein Grundproblem im Ringen um ein Miteinander im Heiligen Land: Der Ton macht die Melodie!

Montag, 21. November 2016

Ein Kreuz mit dem Kreuz


Jerusalem ist eine sensible Stadt, und in ihr ist jene Stelle, an der einst der jüdische Tempel stand und heute die Al-Aksa-Moschee und der Felsendom stehen, die sensibelste. Das musste unlängst eine Gruppe ranghoher Vertreter der beiden grossen Kirchen in Deutschland erfahren: Als "Geste der Zurückhaltung" verdeckten katholische und evangelische Bischöfe als ökumenische Heiliglandpilger beim Besuch von Tempelberg und Klagemauer ihre Brustkreuze. Was als Zeichen des Respekts gegenüber den muslimischen und jüdischen Gastgebern gedacht war, rief in vielen Medien und sozialen Netzwerken massive Kritik hervor. Im Spiegel jener, die nicht dabei waren, wurde aus interreligiöser Sensibilität eine verweichlichte Unterwerfung unter den Islam, von einer einwöchigen Reise im Zeichen von Gemeinsamkeit und Versöhnung blieben emotionale Grabenkämpfe um äussere Symbole im Gedächtnis. Die Frage, die sich manchem Jerusalembewohner dabei stellt: Wie sollen die Konfliktbeteiligten vor Ort je zueinanderfinden, wenn es schon den unbeteiligten Gäste "von Aussen" nicht ungestraft möglich ist, mit kleinen Zeichen auf den anderen zu- und so vielleicht mit gutem Beispiel voranzugehen?